Erstveröffentlichung: BR2 - Nahaufnahme (5. Mai 2017)

 

Manuskript
 
Nahaufnahme
 
 
 
 
Titel: "Wir werden mit Sicherheit nicht verschwinden"
 
Untertitel: Sámi in Lappland kämpfen für ihre Zukunft
 
 
 
Autor: Klaus Betz
 
Redaktion: Bayern 2 Programmredaktion
 
 
 
Sendedatum: Freitag, 5. Mai 2017 15:30 Uhr
 
Wiederholung: Sonntag, 7. Mai 2017 13:30 Uhr
 
 
 
Liisa Holmberg wartet bereits im Foyer. Die Begrüßung könnte klassischer nicht
ausfallen. Denn die Rektorin des Sámi-Education Institutesimnordfinnischen
Inari, lädt mich sofort zum Mittagessen in die Kantine ein. Es gibt Rentier-
Geschnetzeltes. Wäre ich vor siebzig oder achtzig Jahren nach Lappland
gekommen, hätte man mich vermutlich in einer Nomadenschule empfangen; in
einer mit Rentierfellen ausgelegten Zelt-Kota. Und – man hätte mir den für Gäste
üblichen Platz angeboten; gleich rechts, neben dem Eingang, ganz in der Nähe der
Feuerstelle. Doch das ist längst Geschichte. Stattdessen befinde ich mich nun in
einem Bildungs-Campus und mitten in der Gegenwart. Das moderne
Berufsschulzentrum am großen Inari-See beherbergt 250 sámische Schülerinnen
und Schüler. Unterrichtet werden unterschiedliche sámischen Sprachen, das
Kunsthandwerk und selbstverständlich das traditionelle Erfahrungswissen der
Rentierzüchter. Daneben gibt es Kurse in Management und Tourismus, sowie in
Krankenpflege und Informationstechnik. High Touch und High Tech also.
 
O-Ton Holmberg: "We are teaching that there is nothing to be shamed about it ...
Übersetzung: "Wir versuchen unseren Schülern klar zu machen, dass es keinen
Grund gibt,sich für sein Sámi-Sein zu schämen. Es gibt jedesRecht derWelt,
sámisch zu sprechen – überall. Und es gibt jedes Recht der Welt für unsere
traditionelle Lebensweise einzutreten."
... and you have all the rights for your traditional livelihood."
 
Liisa Holmberg spricht damit indirekt ein Vorgehen an, das bis Mitte des vorigen
Jahrhunderts in allen drei skandinavischen Ländern praktiziert wurde: Die Zwangs-
 
Assimilierung der jungen Sámi
– in Wohnheimen und von der Familie getrennt.
Dadurch, so glaubte man in Norwegen, Schweden und Finnland, könne man den
Nachwuchs der Urbevölkerung in Nordeuropa "zivilisieren". Ein Sámi zu sein und
von der Wanderweidewirtschaft mit den Rentieren zu leben, galt seinerzeit wohl als
"primitiv".
 
O-Ton Liisa Holmberg: "We have been these people, you know ...
Übersetzung: "Die Sámi haben sich früher gerne zurückgezogen. Um Konflikten
aus dem Weg zu gehen sind wir lieber mit Skiern los und in der Wildnis
verschwunden. Aber die jungen Sámi von heute sagen: Nein, wir werden nicht
mehr zurückweichen. Wir werden weder unsere Sprache, noch unsere
Lebensweise mit und in dieser Natur aufgeben. Sie ist unser Zuhause."
... it’s our home."
 
Die indigenen Sámi-Gemeinschaften fordern heute selbstbewusst ihren Platz in
den nordischen Gesellschaften und sie verständigen sich längst gegenseitig. Sie
haben gelernt, politisch zu denken und politisch zu agieren. Und: Sie verfügen
inzwischen über eigene Medien und Informationskanäle – über die jeweiligen
Staatsgrenzen hinweg.
 
O-Ton Liisa Holmberg: "First of all, if we are talking about Sámiland, Sápmi ...
Übersetzung: "Wenn wir über Sámiland reden, wir nennen es Sápmi, dann muss
man wissen: Es ist ein sehr großes Gebiet und es erstreckt sich über vier Länder:
Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Sámiland ist größer als
Deutschland. Und sámische Kultur – wir waren ja schon vor den Finnen hier –
sámische Kultur ist eine ursprüngliche, eine indigene Kultur. Wir haben seit mehr
als zehntausend Jahren mit unseren Rentieren hier gelebt - und überlebt. Und wir
werden mit Sicherheit nicht aussterben oder sonst wohin verschwinden. Wir sind
und bleiben Sámi."
... we are sámi people."
 
Die Bestimmtheit, mit der Liisa Holmberg auftritt, ist nicht ungewöhnlich. Häufig
sind es bei den Sámi die Frauen, die sich energisch um die Kultur bewahrenden
und damit auch um die politischen Fragen kümmern - während die Männer
überwiegend mit der Rentierzucht beschäftigt sind. Doch auch dort ist man
inzwischen umgestiegen: Vom Rentierschlitten auf das Schneemobil oder auf das
geländegängige Quad. Und die früher so mühsame Suche nach der Rentierherde
geschieht heutzutage mittels Laptop und GPS-Navigation, weil innerhalb der
Rentierherde mindestens eines der Tiere einen GPS-Responder trägt. Dennoch
ist die Rentierzucht nicht mitViehhaltung vergleichbar. Sie ist unverändert auf
unberührte Wildnisgebiete angewiesen, in denen die Rentiere großräumig
umherziehen können.
 
O-Ton Liisa Holmberg: "The reindeer culture needs lots of land ...
Übersetzung: "Um unsere Rentierkultur leben zu können, brauchen wir viel Land
und viel Platz. Doch heutzutage wird der natürliche Raum, in dem wir uns mit den
Rentieren bewegen können, mehr und mehr eingeschränkt. Und dann heißt es: Ihr
müsst eure Rentiere schlachten, es gibt zu viele davon."
... because it’s too many."
 
O-Ton Liisa Holmberg: "But the fact why they are saying that there are too many
 
reindeer ...
 
Übersetzung: "Doch wenn immer wieder behauptet wird, es gebe zu viele Rentiere,
dann hat das einen ganz anderen Grund: Im Unterschied zu früher gibt es heute
nämlich Staatsgrenzen. Mein Urgroßvater konnte mit seinen Rentieren ungehindert
zwischen dem heutigen Finnland und der Eismeerküste in Norwegen hin- und
herziehen. Ein riesiges Weidegebiet. Aber dann wurde 1852 erstmals eine Grenze
gezogen und wir Sámi mussten uns entscheiden, ob wir dort oder hier bleiben
wollten. Doch in unserem Denken ist es unverändert das gleiche Land: Sámiland."
... is the same sámiland for us."
 
Allerdingssteht Sámiland gehörigunter Druck. Für alle drei skandinavischen
Länder ist der hohe Norden wertvoll. Er steckt voller Ressourcen. Daher wird
immer mehr Land für die Forstwirtschaft reklamiert oder für den Bau von
Staudämmen und Wasserkraftwerken. Mal werden traditionelle Fischereirechte
aberkannt, mal werden Testgelände für Automobilfirmen vergeben. Dadurch
werden die einst zusammenhängenden Weidegebiete immer häufiger aufgeteilt
und verkleinert. Hinzu kommen die Interessen der Mineralien- und
Grubenindustrie. Unter dem "Sámiland" finden sich nämlich in allen drei Ländern
äußerst gefragteMetalle und Mineralien: Gold, Silber, Diamanten, Nickel, Eisenerz
und Graphit. Liisa Holmberg hofft daher, dass Finnland einen anderen Weg geht
als Schweden. Dort versucht man möglichst viele internationale Investoren in den
Norden zu locken, um die Bodenschätze zu verwerten.
 
O-Ton Lisa Holmberg: "Personally I hope that in Finnland we will see the nature not
asa ressource ...
Übersetzung: "Persönlich hoffe ich, dassman in Finnland die Natur nicht einfach
als Ressource betrachtet, die man ausbeuten kann. Wir haben die großartige
Chance zeigen zu können, wie man damit vernünftig umgehen kann und sollte. So
dass es auch künftig möglich ist, das Wasser aus unseren Flüssen und aus
diesem riesigen Inari-See da draußen, trinken zu können. Und natürlich hoffe ich,
dass wir weiterhin Rentiere halten können, um unseren traditionellen
Lebensunterhalt zu sichern."
... It’s still a strong livelihood."
 
Am Nachmittag bin ich mit dem Rentierzüchter Jouni Angeli verabredet. Sein Hof
liegt etwas außerhalb von Inari und abseits der Hauptstraße, im Wald. Ich treffe
den Rentierzüchter beim Füttern an. Aus einem Eimer mit Heu-Pellets lässt er die
Tiere fressen; eines nach dem anderen. Ich bin erstaunt und frage, ob denn die
Rentiere nicht mehr genügend Futter finden?
 
O-Ton Jouni. "No näi ...
Übersetzung: "Mit dem Futter wird es dann knapp, wenn es plötzlich warm wird und
regnet. Die Schneedecke wird dadurch mit einer Eiskruste überzogen und dann
können die Rentiere ihr Futter unter dem Schnee nicht mehr selbst ausgraben und
freilegen. Das macht es schwierig. Es kommt eben ganz auf die
Schneeverhältnisse an."
.... lunte ma."
 
Besondersdie trächtigenMuttertiere der Rentierherden müssen immer häufiger
mit Heu, Heupellets oder Rentiermoos gefüttert werden. Die Nahrung im März und
April ist besonders wichtig, weil sie im Mai auf den ersten schneefreien Flächen
 
ihre Kälber zur Welt bringen. So jedenfalls ist es die Regel. Doch Wetter und Klima,
so erfahre ich von Jouni Angeli, sind in Lappland seit einigen Jahren völlig
unberechenbar geworden.
 
O-Ton Jouni: "No gyllän ...
Übersetzung: "Man merkt einfach, dass eslänger dauert bis der Winter kommt, bis
Schnee fällt und die Seen zufrieren. Es ist so ein Auf und Ab, wasauch dazu führt,
dass alles früher und früher wieder schmilzt. Das geht zwar allessehr langsam vor
sich, aber dass die Winter immer kürzer werden, beobachte ich seit vielen Jahren."
... nu oro vuo se nit."
 
Neben seinem Wohnhaus hat Jouni Angeli eine Schlachterei eingerichtet. Davor
hängen gefrorene Eingeweide an einer Leine. Zugegeben, das ist kein besonders
guter Ort für Vegetarier. Zumal im Inneren des Schlachthauses die gesamte
Wertschöpfungskette dieses Handwerks in einem Raum versammelt ist: Von der
Schlachtbank bis zum Verpackungsautomaten und der prall gefüllten Gefriertruhe.
Sein Fleisch soll das Beste in der Region sein. Sonst würden nicht so viele
Einheimische bei ihm einkaufen. Doch trotz seines Erfolgs ist Jouni Angeli
beunruhigt.
 
 
O-Ton Jouni:"No denan, denan poro uma ...
Übersetzung: "Ich hoffe, dass die Rentierzucht auch in Zukunft noch möglich ist,
aber es wird immer schwieriger, weil uns die großen Weideflächen fehlen.
Rentiere brauchen Platz. Das Problem ist die Forstwirtschaft, die viel zu viel Holz
einschlägt. Dazu kommt der Tourismusmit Hundeschlitten-Touren zum Beispiel.
Die freien und unberührten Waldflächen, so wie früher, die gibt es immer weniger."
.... vuosse vuolessa."
 
O-Ton Neeta Jääskö: "I want Sámi-People to have the primary rights to all land
ressources in our traditional areas …
Übersetzung: "Ich will, dass die sámische Bevölkerung ein Grundrecht auf alle
Ressourcen in unseren traditionellen Siedlungsgebieten erhält. Wir müssten
diejenigen sein, die über das Geschehen hier oben entscheiden dürfen. Aber in
dieser Situation sind wir nicht. Wir sind nicht ermächtigt,Aufseher und Hüter
unseres Landeszu sein. Aber ich würde uns gern in dieser Rollesehen – so dass
wir von unseremLand auch in Zukunft noch leben können. Nicht nur in den
nächsten zwanzig Jahren, sondern in den nächsten hundert,zweihundert oder
dreihundert Jahren. Meine eigene Familiengeschichte in dieser Region reicht viel,
viel länger zurück."
... personal family history goes back further than that."
 
Neeta Jääskö ist Mitte Zwanzig und gilt unter den jungen sámischen Aktivisten in
Nordfinnland als besonders unerschrocken. Ihre politischen Forderungen
kommen für skandinavische Verhältnisse radikal daher, aber sie zielen direkt auf
eine der größten Schwachstellen der finnischen Innenpolitik. Seit vielen Jahren
weigert sich Finnland – genau wie Schweden - die "ILO-Konvention 169" zu
ratifizieren. Norwegen hingegen hat die Vereinbarung der Internationalen
Arbeitsorganisation rechtskräftig unterschrieben. Mit der "ILO 169" regelt die
Völkergemeinschaft den Schutz und die Rechte von Ureinwohnern; damit diese
nicht zum "Opfer von Ausbeutung, Unterdrückung oder Diskriminierung werden
 
oder der Entzug ihrer Lebensgrundlagen droht."
 
 
Dass sich dadurch im norwegischen Teil von Sámiland positive Veränderungen
gezeigt haben, berichtet auch Mari Boine. Die als häufig als "Kulturbotschafterin"
bezeichnete Künstlerin war die erste international bekannt gewordene samische
Sängerin, die mit ihrer Mischung aus traditionellen Joiks, Jazz und Pop-Lyrik für
Aufsehen gesorgt hat. Marie Boine hat darüber ihre Wurzeln nie vergessen:
 
O-Ton Mari Boine: "There has been a lot of positive change in Norway...
Übersetzung: "In Norwegen hat sich vieles zum Positiven verändert. Das ILO-
Abkommen zwingt Norwegen natürlich, die Rechte der Sámi zu respektieren. Aber
noch viel wichtiger ist – unabhängig von ILO 169 –, dassmeine Leute heutestolz
sind, dass sie nicht länger an dieser schweren Last leiden – dem früher weit
verbreiteten Mangel an Selbstbewusstsein. Positive Veränderungen können
sowieso erst dann eintreten, wenn die Menschen auf ihr kulturelles Erbe stolz sind
und für ihre Rechte kämpfen. In Schweden gibt es bis heute keinen Respekt für die
Rechte der Sámi, sie werden noch nicht einmal zu Beratungen eingeladen oder
gehört."
... Sámi people are consulted in these matters."
 
Doch lediglich konsultiert oder angehört zu werden, ist der finnischen Sámi-
Aktivistin Neeta Jääskö längst nicht mehr genug.
 
O-Ton Neeta Jääskö: "The reality is, that’s our table and we have to own that table
...
Übersetzung: "Die Wirklichkeit ist: Finnland sitzt an unserem Tisch, dabei sollten
wir diejenigen sein, die innerhalb unserer Region darüber zu entscheiden haben,
welche Projekte und Interessen verfolgt werden können. Das ist allein unser Erbe.
Wir haben die Verantwortung dafür und sollten auch Sorge dafür tragen dürfen.
Das ist für uns nichts, was man kaufen oder verkaufen kann."
... it’s not something for us to buy and sell, you know?"
 
Neeta Jääskö ist eine Vertreterin der Skolt-Sámi. Das ist jener Stamm der Sámi-
Familie, der bis zum Zweiten Weltkrieg in der damals zu Finnland gehörenden
Region um Petsamo gelebt hat. Mit direktem Zugang zur Barentsee – zwischen
dem russischen Murmansk und dem norwegischen Hafenstädtchen Kirkenes.
Doch nachdem Finnland - als Verbündeter von Nazi-Deutschland – diesen
Landesteil und andere an die damalige Sowjetunion abtreten musste, verloren die
Skolt-Sámi ihre Heimat, wanderten aus oder wurden evakuiert. Sie leben heute
überwiegend in Sevettijärvi, nordöstlich vom Inari-See. Und das ist dann wirklich
jener Teil von Finnland, den man fälschlicherweise gerne als "menschenleer"
bezeichnet. Neeta Jääskö weiß das und genau deshalb macht sie den Mund auf.
 
O-Ton Jääskö: "It’s not enough to crumble in a corner. We have to make ourselves
heard ...
Übersetzung: "Es reicht nicht, sich in einer Ecke selbst zu bemitleiden. Wir müssen
uns Gehör verschaffen und dürfen keine Angst haben. Wenn du leise bist, dann
werden die Entscheidungsträger und diejenigen, die den öffentlichen Diskurs
bestimmen, immer so tun, als ob deine Stimme oder deine Meinung nicht existiert
und deshalb auch nicht zählt. Klar, sobald du laut wirst, wird man dich attackieren,
Leute werden dir widersprechen – dasist sicher nicht einfach -, aberman kann
 
dann nicht mehr so tun, als ob
du nicht existierst."
... nobody can pretend thatyou doesn‘t exist."
 
Anderntags treffe ich erneut eine politisch engagierte Frau. Tiina Aikio ist die
Präsidentin des Sámi Parlaments, das seinen Sitz ebenfalls in Inari hat. Es ist im
"Sajos" untergebracht – einem Kultur- und Verwaltungszentrum der nordfinnischen
Sámi; mit Konzertsaal, eigener Bibliothek und Archiv. Sajosbedeutet: Unsere
Basis. Von Tiina Aikio möchte ich gerne wissen, wie es kommt, dass in nahezu
allen offiziellen finnischen Unterlagen immer von einem "Sámi-Homeland"
gesprochen wird. Ausgerechnet von Homeland. Der Begriff stamme aus dem von
der finnischen Regierung verfassten Gesetz über das Sámi Parlament, erklärt sie
mir.
 
O-Ton Tiina Sanila Aikio: "It comes from the law – Sámi Parliament Act. I mean by
that:The region where the Sámisliving traditionally."
 
Autor fragt: "Who created the Law?"
 
Antwort: "Finnish Gouverment."
 
Im Verlauf unseres Gesprächs wird im Übrigen deutlich, dass das Sámi
Parlament letzten Endes dem finnischen Justizministerium unterstellt ist und
gegenüber denstaatlichen Organen eher einen repräsentativen oder bestenfalls
beratenden Charakter hat. Ähnlich wie in Schweden und Norwegen. Daher sieht
die sámische Parlamentspräsidentin wenig Möglichkeiten, den Interessen der
Forstwirtschaft Paroli zu bieten und die Nachfragen nach Bodenschätzen
einzudämmen. Sie weiß nur eines sicher:
 
O-Ton Tiina Sanila Aikio: "You cannot print more land ...
Übersetzung: "Du kannst kein zusätzliches Land drucken. Aber das Land ist die
Basis für die Sámi-Kultur und ihre Sprache."
... and language."
 
Je länger wir uns über die Situation der Sámi in Finnland unterhalten, umso
deutlicher wird auch: Die sámische Parlamentspräsidenten ist politisch offenbar
tief frustriert. Vor allem über die seit Jahren und gleich durch mehrere finnische
Regierungen vertagte Ratifizierung der ILO Konvention 169.
 
O-Ton Tiina Sanila Aikio : "I’m not awaiting anything. I’m not even hopeful....
Übersetzung: "Ich erwarte nichts mehr. Ich bin noch nicht einmal hoffnungsvoll. Wir
sind während der vergangenen fünf Jahre zu häufig mit negativen Entscheidungen
der finnischen Regierung konfrontiert worden. Für mich ist Finnland ein immer
noch kolonial auftretendes Land; obwohl wir in allen internationalen Vergleichen
und in vielen Bereichen immer bestens dastehen. Aber wie man hier mit der
eigenen indigenen Bevölkerung umgeht, das ist einfach furchtbar."
... the indigenous people, is terrible."
 
Zwar verläuft das alltägliche Miteinander zwischen Sámi und Finnen in der Regel
konfliktfrei, aber der politische Dissens wächst und kulminiert womöglich in den
hochtrabenden Plänen der Handelskammer in Rovaniemi; mit 60.000 Einwohnern
immerhin das politische und wirtschaftliche Zentrum von Finnisch-Lappland. Dort
 
setzt man sich d
afür ein, dass die bislang in Rovaniemi endende Eisenbahnlinie
ausgebaut werden soll – über den Polarkreishinaus, bis zum eisfreien Hafen im
norwegischen Kirkenes. Die gut 500 Kilometer lange Trasse würde mitten durch
sámisches Weideland führen. Kein Wunder, dass Tiina Aikio dies ablehnt.
 
O-Ton Tiina Sanila Aikio: "Sámi people are very against it ...
Übersetzung: "Als Sámi sind wir total dagegen. Wozu braucht man hier oben eine
Eisenbahn? Doch wohl nur, damit man das Holz und die Mineralien
abtransportieren kann. Das ist der Grund. Aber unsere Rufe verhallen im Wind."
... We are shouting to the wind."
 
Gut vierhundert Kilometer weiter südwestlich. Ich bin in Nordschweden unterwegs,
auf dem Weg nach Jokkmokk. Eine Eisenbahnlinie nördlich des Polarkreises gibt
es hier seit über hundert Jahren. Es ist jene berühmte Erzbahn, die das
schwedische Luleå mit dem norwegischen Narvik verbindet. Bei hoher Nachfrage
auf dem Weltmarkt verkehren hier täglich bis zu 15 Züge mit jeweils mit 68
Waggons zu je 100 Tonnen Eisenerz. Macht rund 100.000 Tonnen pro Tag. Der
weltweit exportierte Rohstoff kommt aus den in Staatsbesitz befindlichen Gruben
von Kiruna und Gällivare. Soweit wäre diese Rohstoff-Geschichte zunächst noch
überschaubar, weil sie sich auf einem geografisch gesehen kleinen Raum
abspielt. Doch seit einigen Jahren steigt das Interesse an der Ausbeutung von
Bodenschätzen in Nordschweden enorm. Und offenbar ist diesgewollt.
 
O-Ton Arne Müller: "Es ist im Augenblick sehr billig in Schweden, mit Bergbau
anzufangen. Die schwedische Mineralsteuer liegt bei 0,5 Promille. Also der Staat
kriegt 0,5 Promille von dem Wert, der produziert wird. Und das ist auch etwas, was
die verschiedenen internationalen Firmen auf diesemSektorsehen: dass
Schweden sehr günstig ist – politisch, wenn es zur Infrastruktur kommt – und auch
steuermäßig."
 
Arne Müller ist der Sohn deutscher Einwanderer und Redakteur beim
nordschwedischen Regionalfernsehen in Umeå. Ich treffe ihn, nachdemich sein
Sachbuch über die Kehrseite des schwedischen Grubenbooms gelesen habe.
Befasst man sich damit im Detail wird deutlich, warum besonders die sámischen
Rentierzüchter so vehement gegen die weitere Ausbeutung von Bodenschätzen
sind. Zuletzt 2013, als Umweltschützer und sámische Aktivisten gemeinsam
versucht haben, Probebohrungen für die geplante Kallak-Mine, in der Nähe von
Jokkmokk, zu verhindern. Damit haben die Widerständler eine der massivsten
Polizeiaktionen in Nordschweden ausgelöst. Denn der Kallak-Fundort, so wird
behauptet, soll eine der größten Erzlagerstätten Skandinaviens beherbergen, die
man im Tagebau ausbeuten könne. Die Kerhseite: Jede Mine produziert große
Mengen von wertlosem Abraum-Material, das zumeist hinter einemgroßen Damm
abgelagert wird. Bricht so ein Damm oder wird er nach starken Regenfällen oder
während der Schneeschmelze undicht, kann eine solche Leckage verheerende
Folgen haben.
 
O-Ton Arne Müller: "Ziemlich viele von den Gruben, die es hier in Nordschweden
gibt, beinhalten Metalle in Verbindung mit Schwefel. Und diese Sulfid-
Vereinigungen, die können auch nach sehr langer Zeit große Verunreinigungen
verursachen; dassmansehr niedrige PH-Werte kriegt und dass viele Metalle raus
in die Natur fließen – mit dem Wasser ganz einfach, was durch diese Gebiete sich
 
bewegt."
 
 
Ungeachtet all dessen soll es in Schweden derzeit um die 150 gültige
Bergbaukonzessionen geben und rund 1000 Anträge, um nach Erz, Nickel, Kupfer,
Silber, Graphit und Gold suchen zu dürfen. Die meisten davon entfallen auf die
beiden Polarkreis-Provinzen Västerbotten und Norrbotten, die in bestimmten
Bereichen der Rentierzucht vorbehalten sind. Doch darüber kann man sich
jederzeit hinwegsetzen,sofern ein, wie es in Schweden heißt, "übergeordnetes
Reichsinteresse" vorliegt.
 
O-Ton Arne Müller: "Wir haben zum Beispiel ein Projekt, einen Nickel-Grube in
Västerbotten. Da will man 30 Millionen Tonnen pro Jahr herausholen aus dem
Boden. Und dreißig Millionen Tonnen, das ist genau so viel, wie man in dem sehr
bekannten Bergwerk Falun herausgeholt hat – zwischen dem 16. Jahrhundert und
1970, in 400 Jahren!"
 
In Schwedisch-Lappland ist damit längst Wirklichkeit geworden, wovor sich die
samische Bevölkerung in Finnisch-Lappland noch fürchtet. Bis auf die unberührten
großen Nationalparks nahe der norwegischen Grenze, sind die beiden Provinzen
Norrbotten und Västerbotten seit mehreren hundert Jahren eine Art Binnenkolonie
desschwedischen Südens. Reich an Holz, reich an Mineralien, reich an
Wasserkraft. Alles im Überfluss. Und einer der für die schwedische Staatskasse
lukrativsten Orte – neben dem Erzbergwerk in Kiruna – ist seit Jahrzehnten auch
das kleine Polarkreis-Städtchen Jokkmokk. Mit einer unvorstellbar großen
Gemeindefläche von knapp 18.000 Quadratkilometern bei gerade mal 6000
Einwohnern, ist Jokkmokk das Pendant zum finnischen Inari. Auch hier haben
wichtige sámische Institutionen ihren Sitz, nur haben sie es eben mit diesen
speziellen schwedischen Verhältnissen zu tun: Hier lebt man mitten in einem
Ressourcenland.
 
O-Ton Henrik Blind: "Det koloniala tänkandet det finnsju i vissmång kvar ...
Übersetzung: "Dieses koloniale Denken findet sich in gewisser Weise immer
noch. Das zeigt sich ja auch schon an der unglaublich niedrigen Mineralien- und
Bergbausteuer mit der Schweden Investoren lockt, während es darüber hinaus
auch noch die nötige Infrastruktur finanziert.Aber wo bleiben wir? - mussman sich
fragen, was haben wir als Mitbürger davon? Für mich ist klar: Dieses koloniale
Erbe lebt noch immer."
.... koloniala arvet leva starkt kvar."
 
Henrik Blind ist Mitglied des Stadtrats von Jokkmokk und vertritt dort die
"Miljöpartiet" – die Grünen also. Aber er ist auch ein Tuorpon-Same. Zwar hat er
unverändert seine eigenen Rentiere, doch heute kann sich der 38-jährige Politiker
allenfalls noch während der langen Sommerferien um sie kümmern. Im August
etwa, zur Zeit der Kälbermarkierung. Sonst aber, so stellt es Henrik Blind auch auf
seiner Website dar, will er sich vorrangig für eine Veränderung der schwedischen
Bergbau- und Mineralien-Gesetzgebung einsetzen.
 
O-Ton Henrik Blind: "Den Minerallagstiftelsen vi har...
Übersetzung: "Gegenwärtig ist es noch so, dass bei der Prüfung eines Antrags zur
Eröffnung einer Grube, die möglichen Umweltschäden immer erst zum Schluss
berücksichtigt werden. Ganz zum Schluss – bevor man dann eine Erlaubnis erteilt.
 
Meiner Meinung nach müsste es aber genau umgekehrt ablaufen: Die möglichen
Umweltfolgen müssten zu Beginn geprüft werden. Wenn etwas schief läuft, sind
wir ja alle davon betroffen. Dassman diese Aspekte immer erst zuletzt
berücksichtigt, ist ein Fehler im System."
.... sist, det är ju helt fel."
 
Dass dies einer Herkulesaufgabe gleichkommt, weiß Henrik Blind. Zumal hier
auch noch – wie in Finnland – die Interessen der Energiewirtschaft und der
Forstindustrie hinzukommen. Schweden ist für gewöhnlich eine aggressionsfreie
Gesellschaft. Sie ist das Gegenteil von dem, was uns durch die populären
Schweden-Krimis vermittelt wird. Speziell im Norden des Landes und speziell
unter den Sámi. Doch allmählich macht sich eine Stimmung breit, die mit nur
einem Satz zu beschreiben ist: Wir haben genug. Daher kommt der schwedische
Turpon-Same Henrik Blind zu einem ähnlichen Resultat wie die finnische Skolt-
Samin Neeta Jääskö. Henrik Blind ist im Tonfall zwar etwas konzilianter, aber er ist
genauso zornig.
 
O-Ton: Henrik Blind : "Vi måste höja rösterna, vi måste höras, vi måste ta fighten,
dom inte Svenska Staten …
Übersetzung: "Wir müssen laut werden, so laut, dass man uns hört. Wir müssen
darum kämpfen. Und wenn uns der Schwedische Staat nicht zuhört, dann hoffen
wir auf höhere internationale Organe – bis möglicherweise die UN die
schwedische Regierung fragt: Was macht ihr bloß mit eurer Urbevölkerung? Kann
man sich so verhalten? Und deswegen hoffe ich auch, dass der Kampf und der
Widerstand gegen Kallak erfolgreich sein wird; so dass Schweden endlich auch
seine Verantwortung für uns Samen wahrnimmt und sich nicht aus seinem
kolonialen Verhalten davonschleicht. Man kann nicht alles unter den Teppich
kehren. Man kann nicht immer wieder sagen: das war eine andere Zeit und eine
andere Politik – während man genau diese Politik fortsetzt – gegen die eigene
Urbevölkerung."
 
 
– stopp –