Erstveröffentlichung als Nachwort in "Wanderwege in Skandinavien" (1984) – im Originalwortlaut und der damaligen Rechtschreibung.

Zur Situation der Sami 1984

»Ich habe immer darauf hingewiesen, daß es nicht so leicht ist, die Samen mit den amerikanischen Indianern zu vergleichen. Denn es ist ein schwarzer Fleck in Amerikas Geschichte, daß die jeweiligen Regierungen immer wieder mit Waffen und Gewalt die Verträge gebrochen haben, die andere Regierungen vor ihnen mit den Indianern abgeschlossen hatten. Tatsächlich ist Schweden in einem Punkt zivilisierter: Man legt großen Wert darauf, daß alles gerecht und legal zugeht, bevor jemand zu schießen beginnt.«
Hugh Beach, Anthropologe (Harvard University).
Aus »Norrbottens-Kuriren« vom 11.9.1974.

Die nachfolgende Betrachtung zur Situation der Samen (Lappen) konzentriert sich deshalb auf Schweden, weil nur dort deutliche Konturen sichtbar sind, die die enorm komplizierte Problematik zwischen Samen und Skandinaviern verständlich machen.


Da die Samen, anders als die sich wehrenden nordamerikanischen Indianer, nie ein kriegerisches Volk waren, liest sich ihre Geschichte wie ein bitteres Rückzugsgefecht gegenüber der aus dem Süden vordringenden »Zivilisation«. Auch wenn im Nordeuropa von heute die Beziehungen zwischen Samen und Skandinaviern selbstverständlich liberal-demokratischen Charakter haben und nachweislich nach Verständigungswegen und Lösungen gesucht wird, unterschwellig gärt es doch, örtlich ist die Atmosphäre zuweilen regelrecht vergiftet. War es früher einmal — einhergehend mit der »Kolonisation« des Nordens — eine recht rabiate Christianisierungs-Politik, so sind das heute die Interessen der Forst- und Wasserkraftwerks-Wirtschaft. Morgen wird es Öl und Gas sein; Lappland ist schließlich ein Land der Ressourcen. Und, ob man es wahrhaben will oder nicht, Nordschweden ist im Denken und Handeln des Südens noch immer »Kolonie«.

In dieser Situation ist es daher kein Wunder, daß bestehende oder historische Vertragsregelungen immer mehr unter Druck geraten. Für einen Same jedoch, der schon immer gefischt, schon immer gejagt, schon immer Rentierzucht in seinem eigenen Land betrieben hat, ist diese Lebensweise kein »Privileg«, sondern (s)ein »natürliches Recht«. Und dieses Recht kann nun mal nur bewahrt werden, wenn wir im Süden — die Nationalität ist dabei gleichgültig — einsehen können, dass Lappland untergeht, wenn auch nur ein paar tausend Nichtsamen jagen, fischen, Hütten bauen oder Rentierzucht betreiben dürfen. Aus samischer Sicht haben »wir« ja schon längst bewiesen, wie man die Zukunft Lapplands zu gestalten gedenkt.

Es gibt in ganz Nordschweden nur noch zwei große, wilde Flüsse. Alle anderen Gewässer, vorläufig zumeist noch außerhalb der Gebirge, sind in einer zusammen-hängenden Kette von Wasserkraftwerken und Staudämmen nutzbar gemacht. Darüber hinaus frißt sich die Forst-wirtschaft immer tiefer in alte, angestammte Rentierweideplätze (jenseits der sog.»Odlingsgräns«), die im Frühjahr (Kälbergeburt) und Herbst (Brunftzeit) wechselseitig gebraucht werden. Zwar besteht in Schweden ein Gesetz über die Rentierzucht, das den Samen Exklusivrechte zusichert; das Gesetz gibt der Regierung allerdings auch die Möglichkeit, das Recht zur Rentierzucht in bestimmten Gebieten aufzuheben, die »für Zwecke von wesentlicher Bedeutung für die Allgemeinheit« benötigt werden. Und damit beginnen die Differenzen.

Zu einer recht heftigen Auseinandersetzung zwischen den schwedischen Regionalbehörden und den Samen kam es im Sommer 1982, als das Rentierzuchtgesetz übertrieben genau angewandt wurde. Ausschlaggebend dafür war die Handhabung der »Odlingsgräns« (wörtl. Urbarmachungs-grenze). Jenseits dieser Linie sollte es eigentlich keine Landwirtschaft, keine Wasserkraftwerke etc. geben. Diesseits der Grenze darf jedes herumstreunende Rentier, das nach dem 1. Mai angetroffen wird, theoretisch abgeschossen werden.

Wohl aufgrund schon lang anhaltender, lokaler Interessengegensätze kam es im August 1982 im Bezirk Västerbotten zu einem harten Beschluß der Provinz-regierung. Es wurden Jägertrupps aufgestellt, die herumstreunende Rentiere abschossen und zur Zwangs-schlachtung überstellten. Die Begleitumstände dieser Rentierjagd hatten den bitteren Beigeschmack von lange aufgestautem »Heimzahlen«. Plötzlich tauchten sogar längst vergessene Schimpfworte wie »Lappdjävlar« (Lappenteufel) wieder auf. Was Wunder also, daß durch die Samengemeinden ein Aufschrei an ohnmächtiger Wut lief. Sie wußten ja schon, daß sie nördlich der Odlingsgräns machtlos sind, um den Bau von Wasser-kraftwerken zu stoppen, sie wußten aber noch nicht, daß sie auch machtlos sind, wenn südlich dieser Grenze ihre eigenen Rentiere abgeschossen werden. Denn - so schnell wird Zynismus zur Wirklichkeit — »man legt großen Wert darauf, daß alles gerecht und legal zugeht, bevor jemand zu schießen beginnt«. Ich möchte daher mit den Worten des samischen Dichters Paulus Utsi enden:



»Solange wir Wasser haben, wo der Fisch lebt — solange wir Land haben, wo das Ren weidet und wandert — solange wir Grund und Boden haben, wo das Wild sich verbergen kann, haben wir Trost auf dieser Erde.«